Sprungziele
Inhalt
Datum: 16.09.2023

Unterbringung Geflüchteter: Kreistag lehnt Finanzierung einer Traglufthalle ab

Landkreis muss auf Turnhalle in Zehdenick zurückgreifen / Kreisverwaltung ist weiter offen für alternative, kurzfristige Angebote

Bereits Mitte August hatte der Landkreis Oberhavel die Idee ins Spiel gebracht, eine Traglufthalle für die Unterbringung geflüchteter Menschen zu nutzen. Denn die Kapazitäten in Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen des Kreises sind nahezu erschöpft. Nur etwa 30 Plätze sind noch frei. Weil Oberhavel aber in diesem Jahr gemäß dem vom Land Brandenburg vorgegebenen Aufnahmesoll noch fast 1.300 Menschen aufnehmen muss, werden weitere Möglichkeiten der Unterbringung dringend gebraucht.

„Im Vergleich zum Durchschnitt der Vorjahre ist das Aufnahmesoll für 2023 ungewöhnlich hoch. Es liegt aktuell bei 1.844 Menschen. Deshalb halten wir die Errichtung einer Traglufthalle mit kurzer Bauzeit für eine gute Alternative, um die Nutzung von Sporthallen zu vermeiden“, sagt Landrat Alexander Tönnies. Die Finanzierung einer solchen Traglufthalle, die in Zehdenick entstehen sollte, hat der Kreistag Oberhavel am Mittwoch, 13.09.2023, allerdings abgelehnt. „Ich bedaure die Entscheidung des Kreistags sehr“, sagt der Landrat. „Denn zahlreiche Bürgerinnen und Bürger hatten in der Einwohnerfragestunde des Gremiums signalisiert, dass sie die Idee als Alternative zur Unterbringung in Sporthallen gut finden. Leider rückt mit der Entscheidung des Kreistags nun die Unterbringung in Turnhallen wieder in den Fokus. Das ist genau das, was wir verhindern wollten“, bedauert der Landrat.

Tönnies erläutert weiter: „Wir stehen jetzt einmal mehr vor der Herausforderung, den Menschen, die zu uns kommen, ein sicheres Obdach zu geben. Und auch, wenn wir aktuell gleich mehrere Bauvorhaben auf den Weg gebracht haben oder schon umsetzen, brauchen wir jetzt kurzfristige Lösungen. Denn jeder, der sich mit Bauen und Bauplanungen auskennt, weiß: Das geht nicht von heute auf morgen. Plätze benötigen wir aber unmittelbar, deshalb müssen wir jetzt Entscheidungen treffen!“

Aus diesem Grund haben die verantwortlichen Fachleute aus der Kreisverwaltung, der kreiseigenen Oberhavel Holding Besitz- und Verwaltungsgesellschaft mbH (OHBV) und deren Tochtergesellschaft, der Gesellschaft für Anlagenbewirtschaftung und Objektbetreuung Oberhavel mbh (GfA) in einer gemeinsamen Beratung am Donnerstag, 14.09.2023, alle kurzfristig verfügbaren Optionen nochmals geprüft.

„Das Ergebnis ist: Uns bleibt aktuell leider keine andere Wahl, als vorübergehend die Sporthalle am Wesendorfer Weg in Zehdenick für die Unterbringung geflüchteter Menschen vorzubereiten. Damit werden wir in den kommenden Tagen beginnen und zunächst das Baufeld für Sanitär- und Küchenmodule vorbereiten“, sagt die zuständige Sozialdezernentin Kerstin Niendorf: „Ich weiß, dass das eine große Belastung für die Schülerinnen und Schüler der anliegenden Schulen, aber auch für die Eltern, die Lehrkräfte und die Vereine vor Ort bedeutet. Leider fehlen uns aktuell die Alternativen.“

Denn auch die alte Exin-Förderschule an der Marianne-Grunthal-Straße ist momentan keine Option: Der Nutzungsvertrag des Landkreises mit der Stadt Zehdenick läuft nur noch kurze Zeit. Der finanzielle Aufwand für die Herrichtung der ehemaligen Förderschule als Gemeinschaftsunterkunft steht damit in keinem tragbaren Verhältnis zur möglichen Nutzungszeit. Zugleich hatte die Versammlung der Stadtverordneten in Zehdenick bereits vor knapp einem Jahr eine so genannte Veränderungssperre für das Areal erlassen. Damit kommt eine Nutzung des Objekts als Gemeinschaftsunterkunft auch unabhängig davon nicht in Frage.

„Sollte sich die Stadt zu einer Aufhebung der Veränderungssperre entschließen und uns das Objekt zum Kauf anbieten oder den Pachtvertrag deutlich verlängern, stehen wir Gesprächen selbstverständlich offen gegenüber“, blickt Landrat Tönnies voraus. „Klar ist: Wir reden auch hier eher über Tage für Entscheidungen, nicht mehr über Wochen.“

Für die im Sommer von einigen Seiten diskutierte Nutzung der alten Havelland-Grundschule in Zehdenick liegen dem Landkreis keine Angebote vor. Auch hier steht der Landkreis einem konkreten Angebot der Stadt für eine dauerhafte, direkte Nutzung der ehemaligen Schule offen gegenüber.

Hintergrund

Bereits Anfang August hat das Land Brandenburg das Aufnahmesoll für 2023 – das ist die Zahl der Geflüchteten, die jeder Kreis und jede kreisfreie Stadt Brandenburgs in diesem Jahr aufnehmen soll – gesenkt. Laut der korrigierten Zahlen liegt das Soll für Oberhavel nun bei 1.844 Menschen (vorher: 2.394 Personen) und ist damit um 550 Personen gesenkt worden. Rein rechnerisch ist Oberhavel damit verpflichtet, in diesem Jahr noch fast 1.300 Menschen aufzunehmen. Bis dato sind in Oberhavel 544 geflüchtete Personen angekommen. Laut dieser Zahlen muss Oberhavel pro Monat mehr als 150 Geflüchtete aufnehmen.

Weil die Platzreserven des Kreises dafür weder in Wohnungen noch in den Gemeinschaftsunterkünften an den elf Standorten ausreichen, muss der Landkreis weiter über Alternativen nachdenken. Dass eine dauerhafte Unterbringung der Menschen in Sporthallen keine Lösung sein kann, hatte Landrat Alexander Tönnies schon mehrfach betont. Im August hatte der Kreis deshalb den Bau einer Traglufthalle vorgeschlagen.

Ein entscheidender Vorteil der circa 50 mal 40 Meter großen Traglufthalle – das ist etwa die Größe eines halben Fußballfeldes – ist die vergleichsweise schnelle Aufbauzeit: In nur rund acht Wochen Bauzeit könnten rund 140 Plätze bereitgestellt werden. Das Konzept integriert bereits Küchen- und Sanitäranlagen.

Zusätzlich zu der Halle in Zehdenick errichtet der Landkreis aktuell weitere Unterkünfte. Konkret werden seit April 2023 fünf Wohngebäude in der Lindenstraße in Marwitz gebaut. Mit der Fertigstellung der Plätze für etwa 90 Menschen ist frühestens im Frühjahr 2025 zu rechnen. Außerdem wird die schon bestehende Unterkunft im Mühlenbecker Weg im Oranienburger Ortsteil Lehnitz um rund 200 Plätze erweitert. An der ehemaligen Landwirtschaftsschule Luisenhof in der Germendorfer Allee in Oranienburg-Eden werden bis Anfang 2024 knapp 100 weitere Plätze entstehen. Schon zum Jahresende soll außerdem ein kreiseigenes Gebäude an der Straße Hinter dem Schlosspark in Oranienburg 50 Menschen ein sicheres Obdach bieten. Insgesamt stünden dem Kreis bis 2025 – die Traglufthalle nicht eingerechnet – damit insgesamt etwa 440 neue Plätze für die Unterbringung geflüchteter Menschen zur Verfügung.

„Das zeigt, wie angespannt die Situation auch mit dem Ausbau der Kapazitäten an den genannten Standorten ist – und dass wir weiterhin auch Übergangslösungen brauchen werden“, sagt Alexander Tönnies. „Wir gehen außerdem davon aus, dass auch in den kommenden Jahren der Zustrom geflüchteter Menschen nach Europa und damit auch nach Oberhavel weiter anhalten wird. Darauf müssen wir uns bestmöglich vorbereiten Deshalb überlegen wir schon jetzt, wo wir mögliche weitere Unterkünfte errichten können.“